Wolfgang Neumann – Hello, Goodbye
Städtische Galerie Filderstadt, 21. Februar – 21. März 2010


Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Schäfer-Gold, auch ich begrüße Sie ganz
herzlich zur Eröffnung der Ausstellung mit Arbeiten von Wolfgang Neumann. »Hello, Goodbye«,
so begegnet der Künstler seiner Geburtsstadt – das helle, freudvolle »Hello« bringt seinen
Rausschmeißer gleich mit: »Goodbye«! Und wenn Sie sich die aufgerissenen Mäuler der vier
Bären auf der Einladungskarte vor die Nase halten, die den Titel hinauszubrüllen scheinen,
kann einem schon mulmig werden: Ist das nun eher Begrüßung oder Verabschiedung? Doch
das raubtierische Empfangskomitee entpuppt sich als Stubenparodie: Ob sie nun ein »Hello«
oder ein »Goodbye« an den Spitzen ihrer Gebissleisten stehen habe, es handelt sich um ausgestopfte
Bettvorleger. Bettvorleger? Nein, so präzise wollen wir zur sonntäglichen Frühschoppenzeit
schon sein: Es sind gemalte Bilder, die Bettvorleger nur darstellen. Die Bären sind los,
aber in Acryl, wahlweise auch in Buntstift. Die realistischen, mehr noch: die figurativen Schulen
haben grade Konjunktur, und nicht selten begegnen wir dort der Gretchenfrage: Wie hältst du’s
mit dem Gegenstand? Natürlich wissen wir, dass auch das realistischste Motiv nichts anderes
ist als bemalte Oberfläche. Das eröffnet einem Künstler unendliche Freiheiten, wie wir noch
sehen werden.
Soviel ist ganz und gar – nicht – sicher: Wolfgang Neumann ist es ernst mit dem Unernst.
Nochmal zum Bärengruß unserer Ausstellung: Drehen Sie es nun, wie Sie wollen, ich will ihn da
aus Rücksichtnahme auf mögliche unangenehme Kindheitserinnerungen des Filderstädters, auf
potenzielle schulische Verfehlungen usw. nicht befragen und halte es gedanklich mit Bon Jovis
Hit »Never say Goodbye«. Denn es ist ja so: Neumann lebt und arbeitet immer noch in der Region,
und vielleicht ist der Ausstellungstitel auch eine Art Running Gag oder eine Hommage,
weil er ständig die Gemarkung überschreitet, ein stetes Kommen und Gehen. Neumann selbst
spricht von einem ›Comeback‹. Da kriegen, um den Gedanken abzuschließen, die offensichtlich
nach Größe sortierten Vorlegebären etwas Heimeliges. Und ich darf die Filderstädter beruhigen:
Von den spärlichen öffentlichen Informationen zu seiner Vita, wo Sie gerade einmal herauslesen
können, dass er an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste Stuttgart studiert
hat, dass er – wie er schreibt – »in, um und um Stuttgart herum« wohnt und arbeitet, dann hat
er immer noch einen Gedanken für seine Herkunft übrig. Wenn er sich nicht damit begnügt zu
bekennen, dass er geboren ist, und zwar 1977, dann bekommt der Ort, in dessen Galerie wir
uns heute eingefunden haben, eine nahezu prominente Bedeutung. Andrerseits liest man in
einer Selbstdarstellung des Künstlers, der sich im worldwideweb-Verkehr kryptopoppig als
›Drahthank‹ oder ›Hoehlenmaler‹ bezeichnet, irritierend lapidar: »studiert, gefoltert und gevierteilt
(…) dennoch lebend und arbeitend«. Hello, Goodbye! Machen wir uns, kurzum, darauf gefasst,
dass wir ein Fass mit doppeltem Boden aufmachen, wenn wir etwas tiefer in seine Malerei
hineinblicken.
Glauben Sie nicht, dass wir immer über den Bildtitel zum Kern einer Aussage kommen: Wortspiele
sind bei Neumann Programm, und wie er uns die Titel wie Stichworte zuruft, setzt er im
Bild selbst Wegmarken für überbordend phantasievolle Geschichten, die wir selbst zusammenstellen
müssen. Klar, dass dabei wohl so viele Storys entstehen, wie es Betrachter gibt. Auch
das ist gewollt und macht schließlich auch das Vergnügen aus – der figurative Ansatz seiner
Arbeiten verlockt uns, das Bild sofort zu entziffern, doch mit schelmischer Freude dürfte Neumann
uns hier und da auf eine falsche Fährte führen. Es ist halt wie im richtigen Leben: Je
mehr uns die Medien mit Informationen versorgen, je mehr wir auch Zeit haben, uns in alles
mögliche zu vertiefen, desto eher kommen wir soweit, wie der Gute alte Sokrates schon vor
zweieinhalbtausend Jahren war: Eigentlich verstehen wir das alles doch überhaupt nicht. Aber
dies müssen wir erstmal wissen, das ist ja auch eine Erkenntnis, wenn nicht die Erkenntnis im
Leben.
Um Sie nicht zu erschrecken: Damit entlasse ich Sie nun nicht in den Mittag. In meinen Ausführungen
will ich zwei Namen ins Spiel bringen, die direkt oder indirekt im Werk von Wolfgang
Neumann eine Rolle spielen, und die die Bandbreite ahnen lassen, woher er seine Themen und
Bildmotive bezieht: Franz Kafka und Bob Dylan, die zunächst nicht mehr gemeinsam haben, als
© Dr. Günter Baumann, Kupferwiesenstr. 35, 70839 Gerlingen 2
dass sie keinen Literaturnobelpreis haben: für den einen kommt jede Hoffnung zu spät, für den
anderen wird es wohl eine (wenn auch immer noch berechtigte) Hoffnung bleiben. Bevor ich
mich diesen zwei heimlichen Protagonisten im Werk von Wolfgang Neumann befasse, will ich
Ihnen das Tableau eines grotesken Krimis anzeigen, der den geheimnisvollen Titel »PPFF«
trägt, oder auch prosaischer im Untertitel: »Pole Position Füße unterm Tisch, Feuer unterm
Dach« – so heißt ein Bild Neumanns von 2009, das Sie hier auch ausgestellt sehen.
Die Szenerie ist unaufgeräumt, Scheiben sind zu Bruch gegangen. Die Polizei steht mit Kapuze
und dem Rücken zum Betrachter im Vordergrund, zumindest will uns das die Jackenaufschrift
P-O-L nahe legen, obwohl der Rest des Wortes fehlt. Oder ist das alles schon ein Irrtum? Von
der Buchstabenfolge und dem verfügbaren Raum auf dem Rücken her würde das »Pole« aus
dem Titel auch passen. In der Tat steht er in der ersten Reihe, aber was nützt ihm das? Was
sich ihm bietet, ist ein Tollhaus, nicht ohne Brisanz: Etwas entrückt in einem orphischen Nirgendwo
kauert hinten ein mutmaßlicher Islamist, fingert mit der einen Hand mit Dynamit, die
andere Hand macht ein Victory-Zeichen, im Bildzentrum taucht schattenhaft die Skyline von
New York auf. Klar, da haben die üblichen Verdächtigen zugeschlagen. Was machen aber dann
die körperlosen Köpfe, die durch die anderen drei Fensterrahmungen zu segeln scheinen –
einer als Fledermaus, einer als Putto, dazwischen womöglich der Heilige Geist höchstselbst.
Auf jeden Fall viel blutsaugendes bzw. scheinheiliges Aufgebot, dabei schauen wir aus unsrer
Vogelperspektive gar nicht in einen Kirchenraum – der gotisch anmutenden Fenster wegen –
sondern in ein Pissoir. Ein nicht lesbares Blatt mit amtlichem Stempel weht durchs Fenster herein,
was den Blick auf einen süffisant lächelnden Mann (ich weiß nicht, warum ich an einen
Banker denke) mit Krücken lenkt. Vielleicht liegt der eigentliche Fall hier begraben. Immerhin
trägt der Herr Clownshosen, die nicht zum Jackett passen wollen. Der Rest vom Maskenkostüm
entdecken wir unterhalb des Urinierbeckens. (Oben vor dem Galerieeingang ist die Maske auch
zu sehen in einer kleineren Arbeit, als Maskierung eines Gangsters. Über dem Becken – oder
gilt’s der Maske? – hängt eine Sprechblase, die auf die Schnelle ein »AU« lesen und bei genauem
Hingucken ein »AUch« erkennen lässt. Bevor uns der Kopf zu kreisen beginnt, will ich
Ihr Augenmerk noch auf den Springteufel am unteren Bildrand lenken: Am Ende der aus der
Schachtel hüpfenden Feder wippt kein Kasper, sondern eine Pistole. Hat uns der Maler da eine
Räuberpistole aufgetischt? Alles ein regelrechtes Hirn-Gespinst? Will da nur einer auf die Toilette,
dem wilde Gedanken durch den Kopf gehen? – aufgewühlt vielleicht von einer Streiterei:
von wegen »Füße unterm Tisch« haben oder »Feuer unterm Dach« machen, wie es doch der
Titel einflüstern will.
Die ironische Wendung liegt auf der Hand, die Selbstironie lässt grüßen. Wir alle konsumieren
unablässig, die Medien hauen uns die good news und mehr noch die bad news nur so um die
Ohren, dass uns Sehen und Hören vergeht. Ein Attentat zwischen Tür und Angel, Katastrophen
meldung und Klogang dicht beieinander. Doch damit nicht genug: Im Zeitalter des Googelns
kann man beliebig draufsattelln. Nur so am Rande will ich noch erwähnen, dass selbst das Titelkürzel
vor seiner noch so abstrusen Auflösung nicht Halt macht (was möglicherweise auch
den Künstler überraschen wird): es gibt, ganz im Ernst, für das PPFF offizielle Lesarten wie
»Plutonium Pit Fabrication Facility«, »Pan Pacific Film Festival« oder »Pennsylvania Parks and
Forests Foundation« usw. Wer kriegt die Pole Position? Heißt das: Leute, seht, was ihr wollt, es
ist nur Farbe auf Leinwand? Wolfgang Neumann fügt Bildfetzen zu einem Ganzen zusammen,
auch wenn sie nur zufällig aneinander geraten sind. Er seziert die schöne neue Welt, indem er
sie zitiert und persifliert. Und doch behaupte ich, dass er einer bildaphoristischen Philosophie
folgt.
Die Motiv-Collage hat Methode. Egal, wo wir hinschauen, gibt uns Wolfgang Neumann mehr
oder weniger konkret assoziierbare Bilder und Namen zum Enträtseln auf. Das bringt mich auf
Bob Dylan, der über den Dramatiker aus dem 16. Jahrhundert sagte: »Das einzige, was wir von
Henry Porter gesichert wissen, ist, dass sein Name nicht Henry Porter war.« Sicherheit ist nirgends,
so steht es bei einem anderen Dramatiker, Arthur Schnitzler. Die Gemälde und Zeichnungen
von Wolfgang Neumann erzählen Geschichten, arbeiten mit déjà-vus genauso wie mit
Versatzstücken aus Zeitschriften; Erfundenes mischt sich mit Gesehenem zu einem unerschöpflichen
Fundus an dem, was die Welt ausmacht. Es stellt unzählige Fragen in den Raum,
deren Beantwortung uns nur neue Fragen aufgibt. In der Literatur würde man da von einer a©
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phoristischen Dichte sprechen: Viele kleine Facetten ergeben irgendwann auch ein Gedankengebäude.
Eine vierköpfige Gruppe sitzt am Café-Tisch, drei davon sind durch Übermalung anonymisiert.
Verweist das aus dem Bild hinausgeschriebene Wort »Hell«, dass das eine Art Vorzimmer ins
Jenseits ist? Auf einem anderen Werk ist dem Protagonisten eine tropftraurige Maske vom Gesicht
gerutscht, während sich ein wesenloser Mensch an einem, vielleicht seinem Wohnwagen
zu schaffen macht. Die Flut von Bildfragmenten ist niederschmetternd. Ein schräger Förster
wütet mit einer Flex durch sein Revier – dem Vernehmen nach handelt es sich um die Ranch
eines früheren amerikanischen Präsidenten. Eine dämonische »Hatz« lässt einen woanders
das Schmunzeln vergehen. Aber der Realist durch höhere Mächte zu entfliehen, nützt auch
nicht: In dubiosen Wahrsagerbildern – oder sind’s Politikerdarsteller? – entpuppt sich das Hellsehen
als Mix aus Prognose und Prostata. Die Welt ist, wie sie ist.
Weiter will ich hier nicht ausschweifen und vielmehr zu Bob Dylan zurückkommen. Ich habe es
versprochen. In zwei Arbeiten nimmt Neumann bewusst Bezug auf den grandiosen Songwriter:
»Shooting Star (Me)« und »Shooting Star (You)«. Wieder versammelt er synchron und diachron,
querbeet also, allerhand Bild- und Wortfragmente vor unseren Augen. Doch allein der
Titel gibt uns den Hinweis auf ein Lied Dylans. Es wirft ein Licht auf das gesamte neumannsche
Werk. »Seen a shooting star tonight / And I thought of you«, so heißt es in der ersten Strophe,
in der zweiten: »And I thought of me« – soweit deckt sich das mit den Zuordnungen im Titel des
Bildpaares. Mit einem Hauch von Melancholie singt Dylan von den letzten Dingen, vom Versuch,
in eine andere, unbekannte Welt auszubrechen, von der Sorge, sich selbst zu verlieren.
Die Sternschnuppe leuchtet nur kurz auf und entschwindet, wie auch so manches Sternchen
unter den Menschen: »Seen a shooting star tonight / Slip Away«, ist das Ende vom Lied, wenn
auch noch die Zeile im Ohr klingt: »Tomorrow will be another day« – nein, hoffnungsfroh ist das
wohl auch nicht gemeint. Neumanns Allerwelts-Heldinnen und Helden sehen nicht so aus, als
würden sie leichthin das Leben meistern. In einschlägigen Arbeiten von Wolfgang Neumann
geht es aber den VIPs – von Superman bis Barack Obama nicht anders. Heinrich Detering hat
in seiner einfühlsamen Werkgeschichte über Bob Dylan dessen »Ambivalenz von Identitätspathos
und Rollenspiel« hervorgehoben. Das ist es: Neumanns Protagonisten schließen sich da
nahtlos an. Auffallend sind die häufigen Maskierungen, Vermummungen. Die Show ist gelaufen,
but the show must go on.
Unterstrichen wird dies noch im kafkaesken Sinn: In dem Gemälde »Ein Landarzt« setzt Neumann
sich mit der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka auseinander. Eine Illustration
können wir nicht erwarten. Aber die Vielschichtigkeit und das innere Tempo, die die Texte Kafkas
auszeichnen, finden wir hier wieder: das vorprogrammierte Scheitern des Auftrags, hier
einen Menschen zu retten, märchenhaft-gruselige Motive wie das geheimnisvolle Auffinden des
»unirdischen« Pferdes, das Grübeln über die eigene, wenn auch unbenennbare Schuld und
nicht zuletzt die versteckte Ironie. »Betrogen! Betrogen!« heißt es am Ende von Kafkas »Landarzt
« vollmundig – ein Augenzwinkern ist dabei. Und dann folgt einer der beeindruckendsten
Sätze der deutschsprachigen Literatur: »Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist
niemals gutzumachen«. Der Mensch befindet sich konstant auf dem Holzweg, wenn es einer
ist. Diesen aber gangbar zu machen, tritt Wolfgang Neumann in seinen Bildern an.
Wolfgang Neumann vermittelt souverän zwischen Ulk und Alptraum, zwischen modischen und
kafkaesken Welten. Mit seinem Bild- und dem in den Titeln sich zeigenden Sprachwitz unterhält
er uns auf hohem Niveau gleichermaßen wie auf der Sitcom-Ebene, und er vermag zugleich in
der surrealen Überblendung von Raum und Zeit, Fiktion und Realität eine Zwischen- oder Parallelwelt
zu schaffen, die er mit der Dreistigkeit eines Harlekins oder dem Orakel eines Desillusionisten
als die eigene begrüßt und die er mit dem gesunden Menschenverstand als künstlerische,
sprich künstliche Welt verabschiedet. Seht her: Bei uns geht’s doch gar nicht so heiß
her… Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und sage Goodbye, oder besser, angesichts der kulinarischen
Verköstigung: Hello again.


Günter Baumann, Februar 2010