Betrachtungen

von Domenik Gebhardt zur Ausstellung "Geiselschmitz", April 2023

 

Diesen Bildern sitzt der Schalk im Nacken. Sie spiegeln den Widergänger einer Gesellschaft, in der wir

leben, aber es nicht wollen. Sind Persiflagen alltäglicher Beobachtungen.

Wie mittelalterliche Gryllen, verzerrt und alptraumhaft, janusköpfig oder kopflos, blicken die Gestalten

in den Bildern orientierungslos vor sich her. Sie sind bereits in den Tartarus geworfen, ein Entkommen

scheint unter dem alptraumhaften Himmel unmöglich, wir sind in einer Welt, die auf mittelalterlichen

Karten hinter dem Ozean gelegen hätte, am Rande der Welt des antiken Griechenland, hinter dem Horizont

der „Flat Earther“ von heute. Die Menschheit ist ihren eigenen Possen ausgeliefert, eigentlich braucht

sie keinen Ulenspiegel mehr, der sie foppt - doch tun´s diese Bilder.

 

 

Hier wurde die Realität zu dem, was Tantalus erfahren hat, wir betrachten den täglichen Irrsinn einer technisierten,

mediengeprägten, von Populisten zerissenen Welt. Die Badenden, die sich vor hundert Jahren

und davor noch in Wäldern räkelten, die heute durch ein Maisfeld ersetzt worden sind, finden sich wieder.

Es ist ihnen unmöglich einander zu berühren. Jeder kämpft für sich.

 

Die Farbigkeit gemahnt an den Expressionismus; an digitalisierte, übersteigerte Kolorierung, verdrehte

Gradationskurven in Photoshop. Man begegnet Flächen wie monet´schen Seerosen, mittelalterlich symbolhaften

Gebirgen in der Ferne. Die Themen allerdings sind zeittypisch, von einer prinzipiellen Zeitgenossenschaft,

einem beobachtenden Kommentieren, Persiflieren. Leuchtend bunt, beunruhigend in den

Kontrasten strahlen sie uns entgegen.

 

Beunruhigend auch die degenerierten Gestalten darin, zerfleddert bis kopflos, wiedererkennbar oder auch

stereotypisiert, mal umgeben von stehendem Gewässer, mal von Smileys und gereckten Daumen. Ein

drückender Himmel überwölkt das Leiden einer postmodernen Gesellschaft, die sich hoffnungslos windet.

Ihre Bewohner vergegenwärtigen die Leidenden in den Bildern des Zeichners und Sozialkritikers George

Grosz. Allerdings: Wo Grosz noch gesellschaftliche Ungleichheiten, politische Ränke und das menschliche

Extrem darstellte, sind diese Bilder schwerer zu deuten. Die Prototypen stehen für etwas, das in den

Prozessen der postmodernen - nicht der modernen - Gesellschaft beobachtet wurde. Einer Zeit also, in der

die Medien als vierte Gewalt im Staate immer mehr diese Rolle einnahmen, in der aber die so genannten

„Neuen Medien“ noch fehlen. Popkultur und Likes sind dort noch Zukunftsmusik, hier sind sie bereits

Realität, Alltag geworden.

 

Die Figuren zerfasern sich in Farbflächen, die Klarheit ihrer Erscheinung, ihre eindeutige Gegenständlichkeit

wird aufgelöst von der hineindrängenden Farbe. Die Entitäten, die auf den Bildern in Erscheinung

treten sind Kontrast in sich. Als würde sich die Landschaft eines munch´schen Schreis endlos ausbreiten für

die Possen einer zum Verderben verurteilten Gesellschaft. So sieht nicht eine Welt im Untergang aus, diese

Bilder sind bereits nach der Apokalypse entstanden. Die geistige Atombombe ist bereits explodiert.

Und wer beobachtet solcherlei Geschehen, solch ein abseitiges Fernsehprogramm, und verfügt über die

Möglichkeiten dem Ausdruck zu verleihen? Es ist Wolfgang Neumann. Der  Ex-Student an

der Akademie in Stuttgart hat neben der Malerei, der Zeichnung und Kunstgeschichte, Intermediales Gestalten

studiert und das merkt man seiner Ausstellungsgestaltung an - das wird der- und auch diejenige

bemerken, die einen Blick auf sein bisheriges Arbeiten wirft. Dieser Studiengang untersucht das Verhältnis

von Kunst und Raum und untersucht die Rolle der Kunst in der Gesellschaft, insbesondere auch mit Blick

auf das künstlerische Lehramt.

Figuren wandern nicht nur auf den Bildern, die Untersuchungen von Bewegungsabläufen und vielleicht

auch der Versuch eines Unterbruchs bei der Betrachtung, setzt sich fort auf den Wänden der

Ausstellungsgelegenheiten. Ein Glück, dass die Fotografie erfunden wurde um manche Ideen

festzuhalten...Solcherlei Elemente wären verloren. Neumann macht aus seinen Räumen Bühnen, nicht nur

in den Bildern, auch um die Bilder herum. Die Gestaltung endet nicht am Rahmen, er ist ein Teil davon.

Das merkt man auch noch an anderer Stelle und hätte (oder hat) es gestern Abend in der Rätsche genossen.

Textfindung und Musik sind auch Teil des Arbeitens von Wolfgang Neumann. Man meint in den

Texten und Bildern die gleiche Unruhe zu erkennen, dasselbe Unbehagen, die Zeitkritik.

„Die Neonröhre

spendet uns Licht

in letzten Ecken

haben wir Sicht“

So ein Ausschnitt aus einem der Gedichte Wolfgang Neumanns. Immer wieder glaubt man ein lyrisches

Ich zu erkennen, das durch die Bilder wandert und Ausschnitte beschreibt, das Lebensgefühl auf der bis

ins letzte ausgeleuchteten Bühne.