LIQUIDE IM SPALT

 

Kulissenschiebereien: hinter Masken und Fratzen verschleiern die Bildagenten von Wolfgang Neumann – über den ein oder anderen synaptischen Spalt hinweg – ihre eigenen, ursprünglichen Identitäten und nehmen als doppelgesichtige Zwitterexistenzen laufend neue Rollen an. Medienprominente aller Couleurs, allerhand Vorbild exerzierende Schulmeister und andere tückisch verschlagene Zauberer treiben in diesen oft vielfigurig kafkaesken Szenen das ihnen eigene Unwesen bis zur Raserei. Da wird hämisch gegrinst, gejohlt vor Schadenfreude und allenthalben lauthals geschrien – Menschen, Tiere, Sensationen – ein Zirkus voller meist tragischer Clowns, teuflischer Dämonen und hilfloser Dompteure der Wirklichkeit.

 

Im schrillen Schein der bling-bling und bunt blinkenden Birnchen führt der höllische Horrortrip dieser Geisterbahnen rasant in den Abgrund. Von Totenschädeln und der Oberhakennase unheilvoll umgeben entlarvt so ein noch in Selbstüberschätzung grölender schwarz Kostümierter sein wahres Gesicht hinter der lieb gefräßigen Vermummung zwischen delfinischen Flipper und weissem Hai, ohne freilich zu bemerken, dass längst in voller Fahrt abgerissene menschliche Gliedmaßen und Organe den hölzernen Boden des kommerzen Karussells bedeckt haben; dies ein höchstens beiläufiger Kollateralschaden des ausschließlich auf ökonomische Optimierung orientierten Alltags(fahr)geschäftes.

 

Wie könnte da einem ach so grazil maskierten Magier mit kreuzbewehrter Armbinde noch Vertrauen geschenkt werden (tausendjährige Erinnerungen stellen sich da ein), dass sein so routiniert geglaubtes Kunststück, die einschlägig verwandte unschuldige Jungfrau wieder einmal unversehrt in zwei Teile zu zerstückeln, könnte auch tatsächlich gelingen, als ob eine – schwarz oder weiss – nicht genügte ? Mit der kreischenden Kettensäge durchtrennt er vielmehr süffisant lächelnd ihren Körperrumpf, so dass ihre Eingeweide im Querschnitt zu sehen sind und sich delikate Rinnsale aller Körpersäfte sich am Boden sammeln. Pflichteifrig – um das missliche Ungeschick nur rasch zu tarnen – schicken sich gleich zwei monströse Elefantenrüsselschwänze an, dem stümperhaft vorgehenden Verbrecher eine zusätzliche Maske zureichen zu wollen, um nur ein weiteres Mal das absehbare Tun des Scharlatans zu bemänteln.

 

Und welche Eltern würden da auch ihre lieben Kleinen einem derartigen Zauber-Lehrer-Lehrlingsmeister an die Hand geben, der einerseits zwar mit Dornenkranz bekrönt und rücklings einem messianischen Tattoo versehen sich hinter zugeklappten Tafelflügeln seiner Aufgabe von Selbstaufgabe stellen muss. Aus dem eleven Hinterhalt harmlos mit Papierfliegern beschossen hat die vorgebliche Autorität zwischenzeitlich unter der Schieferlast nichts mehr zu sagen, ausser vielleicht noch: Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht (Langer Käse, runde Butter, fertig ist die Schwiegermutter); mit halb heruntergelassenen Hosen und amputierten Beinstümpfen kniet der Geschundene im Angesicht seiner Klasse, den obszön knotigen Nasenaufsatz schon am Rand des Abfallkorbes abgelegt, ein abgehackter Fuß – im sportiven Turnschuh, versteht sich – fein säuberlich beiseite gestellt, mit dem nassen Schwamm alle gängigen Galubens- und Wissensformeln längst schon weggewischt.

 

Auch noch vom weltentsagten San-Ya-Sin – Kharma, Dharma und Nirvana – ist nur ein hohlköpfiger Dummy übrig geblieben. In seinen Autositz geschnallt prallt der puppenhafte Todeskandidat gerade unausweichlich gegen einen Baum, aus dessen Ästen – statt der selbstmobilen Technik – sich nun unverzüglich ein fleischiger Airbag ihm entgegen wie eine riesenhafte Boxerfaust zu entfalten beginnt: jählings platzt die Blase und statt Erleuchtung winkt nun das große Nichts: verkehr verkehrte Welten !

 

Angesichts all dieser Demaskierungen menschlicher Existenz, die uns Wolfgang Neumann mit seinen Bildarbeiten – als einen Spiegel unserer selbst wie ebenso als Selbstbespiegelung seines eigenen Daseins – vorzuhalten weiss, spitzt sich die Frage nach gegenwärtig noch möglicher Identität und Integrität des Individuums zu. Die eigendynamisch und rauschhaft ausgreifende Malerei ist nicht auf eine bloße Fragmentierung menschlicher Leiber bedacht (wie in der jüngeren Kunstgeschichte der vergangenen Jahrzehnte häufig gesehen), sie scheint vielmehr Körper und alles Leibhaftige darin schier verflüssigen zu wollen: drip, tripping die Dinge, die Liquidierung von Form und Farbe, das Bildtableau als opulente Schlachtplatte, das Großformat der sprichwörtliche Schinken, der voller Schinken hängt – vgl. Francis Bacon: der Name schon malerisches Programm. Dabei zielte die historische Schlachtenmalerei doch auf die kriegerische Auseinandersetzung mehrerer gegnerischer Parteien, während wir uns heutzutage mit unvergleichlicher Zerstörungslust getrost der Selbstzerfleischung zu widmen belieben.

 

Umgekehrt zeigen die grafischen Werke Wolfgang Neumanns sezierende Darstellungen von Alltagsszenerien mit scharfgratigem, schrundig dichtem Lineament (gegenüber der fleischlichen Verflüssigung der Malerei nun also vollends feste Konsistenzen). Diese stehen durchaus in den katastrophischen Bildtraditionen von James Ensor bis Max Beckmann, die ihrerseits – christliches Passionsgeschehen, Krieg und karnevalische Totentänze in Einem – bildgewaltige Resultate traumatisierender Welterfahrung (vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) repräsentieren. Doch Wolfgang Neumann bescheidet sich auch hierin nicht etwa mit geläufigen Techniken, Genren und Formaten; seine Radierungen setzt er als Digital Etchings um und vergrößert sie bis auf Lastwagenplanengröße, die den Rang zeitgenössischer Monumentalbildprogramme reklamieren.

 

Ob aber Kleinformat, ob Riesenschinken, Zeichnung, Tiefdruck, Malerei: im Fleischwolf – respektive Farb- und Linienwolf der Neumann’schen Vorstellungskräfte werden mediale Versatzstücke aus Presse, Film und Fernsehen, Kino, Comics und jeder Art von Trivialkultur zu wahnverwüsteten Wirklichkeiten zermahlen; es wird gierig geschlungen, daran gewürgt und mitunter manchmal auch wieder ausgekotzt, das bildgewitzte Lachen in jedem Falle bleibt im Halse stecken. Da hilft’s auch nicht, wenn sich im Rinderwahn die apportierende Analogkuh schnell noch eine Milk App ’runterlädt, um zwischen viehisch virtuell, fettfrei und – jetzt noch länger haltbar! – tierisch tot die artgerechte Haltung zu beschwören.

 

 

Text: Clemens Ottnad M.A. (2013)